Der Artikel von Dr. Roger Pycha, Leiter des Psychiatrischen Dienstes Bruneck ist in der Zeitung des Verbandes „Selbsthilfe-Auto Aiuto“ Nr. 2/2014 erschienen.

In der Schwangerschaft und während der Stillzeit sind Frauen umwälzenden hormonellen, körperlichen, seelischen und sozialen Veränderungen ausgesetzt. Es überrascht deshalb nicht, dass gerade diese Zeiten für Frauen das höchste Risiko mit sich bringen, an seelischen Störungen zu erkranken.

Im Falle von ausgeprägten Depressionen oder schizophrenen Psychosen, aber auch bei schweren Angst- oder Zwangsstörungen ist gerade wegen der bestehenden Suizidgefahr eine medikamentöse Behandlung der Beschwerden unbedingt notwendig – dadurch können zwei Leben gleichzeitig gerettet werden. Dabei stehen Psychiater, Frauen- und Kinderärzte unter dem Druck, Substanzen zu wählen, die das werdende oder neu geborene Kind in seiner Entwicklung nicht schädigen.

In den Beipackzetteln der Medikamente steht regelmäßig zu lesen, dass die Substanzen in der Schwangerschaft und Stillzeit nicht angewandt werden sollten – manchmal aus gutem Grund, manchmal aber auch nur, damit die Pharmakonzerne von vorneherein nicht gerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden können. Dieser Umstand macht Entscheidungen für behandelnde Ärzte, betroffene Frauen und ihre Partner nicht gerade leichter.

Anderseits liegen nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit gut gesicherte Ergebnisse vor, die es zulassen, zwischen sicheren und riskanten Psychopharmaka in der Schwangerschaft zu unterscheiden.

Die Schwangerschaft
Zwar gilt der alte Grundsatz weiter: möglichst in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft keine Medikamente, weil in der Zeit die Organe des Kindes entstehen. Anderseits ist eine ausgeprägte psychische Erkrankung für Mutter und werdendes Kind oft viel riskanter als jede Behandlung. So weiß man zum Beispiel, dass Mütter, die an einer Psychose erkranken, häufiger Kinder mit Missbildungen bekommen, auch wenn sie überhaupt nicht medikamentös behandelt worden sind.

Man geht davon aus, dass 9 % aller werdenden Mütter eine schwere und 10 % eine leichte Depression in der Schwangerschaft erleiden. Weder die alten Antidepressiva noch die modernen Serotonin-Wiederaufnahme-hemmer erhöhen die Missbildungsrate wenn sie schwangeren Frauen verabreicht werden. Die Datenlage bei den beiden neuen Antidepressiva Mirtazapina (Tausende untersuchte Fälle) und Venlafaxina (hunderte untersuchte Fälle) ist noch nicht so gesichert, weist aber bisher auf kein erhöhtes Risiko beider Substanzen hin. Monoaminooxydasehemmer hingegen sind in der Schwangerschaft und während des Stillens wegen Missbildungsgefahr und häufiger Nebenwirkungen verboten. Wenn eine Frau in der Schwangerschaft schwer depressiv erkrankt, in Suizidgefahr ist und depressive Wahnsymptome entwickelt, empfiehlt sich eher die Elektrokonvulsionsbehandlung als die Verabreichung mehrerer Medikamente gleichzeitig. Die Kurznarkose von wenigen Minuten Dauer ist für das werdende Kind und für die Mutter in der Regel schonender, der Behandlungserfolg auch rascher. Diese Therapiemöglichkeit besteht zur Zeit an den Abteilungen für Psychiatrie von Bruneck und Brixen.

Eine andere Alternative, die aktuell in Südtirol leider noch nicht zur Verfügung steht, ist die transkranielle Magnetstimulation. Dabei werden im linken Stirnhirn hochfrequente, anregende, und im rechten Stirnhirn niedrigfrequente, beruhigende Magnetfelder mittels Spulen an wachen Patientinnen erzeugt. Eine Heilung von Depressionen ist auf diese Weise ohne den Einsatz von Medikamenten möglich.

Bei Beruhigungsmitteln (Benzodiazepinen) gilt der Grundsatz, möglichst solche mit kurzer Halbwertszeit (Lorazepam, Oxazepam) zu verwenden, weil langzeitig wirksame Substanzen wie Valium Missbildungen zu begünstigen scheinen. Die meisten anti-psychotischen Medikamente wie Haldol oder Serenase können hingegen bedenkenlos in der Schwangerschaft verabreicht werden. Stimmungsstabilisatoren wie Depakin oder Tegretol sollen abgesetzt werden. Neueste amerikanische Studien belegen die früher unter Lithium beobachteten Herzmissbildungen nicht mehr – Lithium wird deshalb in den USA in der Schwangerschaft wieder verabreicht. In Europa ist man diesbezüglich vorsichtiger – da diese neuen Studien deutlich geringere Fallzahlen aufweisen als die alten, und da die Rate der Fehl- und Frühgeburten 2,5 mal höher ist, wenn Lithium in der Schwangerschaft gegeben wird.

Die Stillzeit
95 % aller Stillenden nehmen in der ersten Woche nach der Geburt mindestens ein Medikament ein, 5 % nehmen während der gesamten Stillzeit Medikamente. Ca. 30 % aller stillenden Mütter rauchen, sodass Nikotin weitaus schädlichere Auswirkungen auf Säuglinge hat als alle Medikamente zusammengenommen.

Die früher eiserne Regel, bei allen psychischen Störungen in der Stillzeit sofort abzustillen, gelte inzwischen nur noch eingeschränkt. Leichte Depressionen der Mütter könnten psychotherapeutisch gut behandelt werden, mittelgradige auch mit Antidepressiva, ohne das Stillen zu unterbrechen, wenn dies die Mütter unbedingt wünschen. Durch das Abstillen entstünden oft massive Schuldgefühle bei den Müttern und das fortgesetzte Stillen führe zur Ausschüttung des Hormons Oxytozin, das eine beruhigende und stimmungsbessernde Wirkung habe.

Eine gute Strategie sei es, das antidepressive Medikament gleich nach dem Stillen oder vor der Schlafphase des Kindes zu verabreichen, oder eine Stillmahlzeit täglich durch Beikost zu ersetzen. All diese Maßnahmen zielten darauf ab, den Medikamentenspiegel im Säugling möglichst niedrig zu halten, um Nebenwirkungen zu vermeiden. Grundsätzlich seien bei Säuglingen das Gehirn empfindlicher und die Leber weniger entgiftungsfähig als bei älteren Kindern. Deshalb sollte auch bei Beruhigungsmitteln eine möglichst niedrige Dosis gewählt oder noch besser zu psychologischer Entspannung Zuflucht genommen werden.

Unter der Voraussetzung einer möglichst niedrigen Dosis gelten die Medikamente Tegretol und Depakin der amerikanischen Kinderärztegesellschaft als in der Stillzeit verwendbar, Lithium hingegen wegen der Vergiftungsgefahr des Säuglings nicht.

Wissenschaftliche Untersuchungen ergeben, dass Säuglinge ungefähr zehnmal sensibler auf Medikamente reagieren als Erwachsene. Entsprechend wäre 1/10 der Durchschnittsdosis für Erwachsene bei Säuglingen noch akzeptabel.

24 bis 86 % aller stillenden Mütter erleiden vorübergehende Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen (baby blues), die nicht zu behandeln sind. Dagegen hilft ein schützendes Milieu, zum Beispiel längerer Verbleib im Krankenhaus oder mehrere verständnisvolle Helfer zu Hause.

Bei 10 bis 15 % aller Stillenden treten Depressionen, bei 1-2 ‰ Stillpsychosen auf. Wenn höhere Medikamentendosen benötigt werden, ist Abstillen in jedem Fall sicherer.

Viele psychische Störungen können in der Stillzeit auf schonende Weise behandelt werden.

Anlaufstellen:
Psychiatrische Fachambulanz für die seelische Gesundheit in Schwangerschaft und Post Partum
Psychiatrischer Dienst im Krankenhaus Bozen (Gebäude W – 1. Stock)
Tel. 0471 435 146 oder Tel. 0471 435 147

Das könnte Sie auch interessieren:
Depression hat viele Gesichter – eines davon ist die Postpartale Depression
• Postpartale Depression – Auch Väter leiden