Der Text stammt aus der Informationsbroschüre „Psychische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter“, herausgegeben im Jahr 2014 vom Verband Ariadne und der Autonomen Provinz Bozen, Amt für Krankenhäuser unter der Mitarbeit von Veronika Hafner, Donatella Arcangeli, Luigi Basso, Irene Berti, Giovanni Cappello, Andreas Conca, Giulia Parolin, Roger Pycha und Georg Vallazza.
Depressionen
Bereits in der Kindheit findet man depressive Störungen. Kognitive Theorien gehen davon aus, dass depressive Kinder und Jugendliche sehr negative Muster im Denken haben und sich selbst für ihre Situation schuldig und verantwortlich machen. Beobachtbar sind neben Affektveränderungen auch mangelnde Motivation und geringer Antrieb sowie Veränderungen des körperlichen Befindens. Sie sind traurig und niedergeschlagen oder haben Stimmungsschwankungen. Jüngere Kinder haben oft noch Schwierigkeiten, dies genau zu beschreiben.
Emotionale Reaktionen der betroffenen Kinder sind:
– gedrückte Stimmung
– starke Ängstlichkeit
– erhöhte Reizbarkeit
– Freud- und Lustlosigkeit
Sie fühlen sich einsam, wert- und bedeutungslos. Sie kritisieren sich selbst, werten sich selbst ab und empfinden manchmal auch Selbsthass. Sie haben wenig Durchsetzungsvermögen bzgl. ihrer eigenen Interessen und sind selbstunsicher. Manchmal verletzen sie sich sogar selbst oder zerstören Dinge. Manche sind in ihrem Verhalten sehr verlangsamt und antriebslos, andere unruhig und hyperaktiv. Oft ziehen sie sich aus sozialen Kontakten zurück. Sie leiden nicht selten unter Appetitlosigkeit und Verdauungsschwierigkeiten, wie z. B. Verstopfung, oder sie koten und nässen wieder ein. Häufig kommt es auch zu Schlafstörungen: Einschlafschwierigkeiten oder übermäßiges Schlafbedürfnis, Durchschlafschwierigkeiten oder frühes, morgentliches Erwachen mit pessimistischer Stimmung.
Es gibt verschiedene Formen der affektiven Störungen:
Major Depression mit folgenden Symptomen
– depressive oder reizbare Verstimmung
– Freud- und Interessenlosigkeit
– Verlust oder Zunahme des Appetits sowie Gewichtsprobleme
– Störung des Schlafes
– Unruhe oder Antriebsarmut
– Energielosigkeit und Müdigkeit
– unberechtigte Schuldgefühle / Selbstabwertung
– Konzentrationsprobleme und Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen
– Suizidale Gedanken
Dysthymie
Die Dysthymie hat eine deutlich längere Dauer der depressiven Stimmung, aber eine geringere Ausprägung mit weniger Symptomen als die Major Depression.
Auffallend sind ebenso:
– Zunahme oder Abnahme des Appetits und Gewichtsprobleme
– Störungen des Schlafes
– Unruhe oder Antriebsarmut
– Energielosigkeit / Müdigkeit
– Mangel an Selbstwertgefühl
– Schwierigkeiten sich zu konzentrieren oder sich für etwas zu entscheiden
– Hoffnungslosigkeit
Bipolare Störungen
Hierbei wechseln sich manische und depressive Phasen ab.
Bipolare Störung I – Bei Kindern vor der Pubertät findet man häufig lang andauernde Phasen mit schnellem Wechsel zwischen Manie und Depression oder gleichzeitiges Auftreten von Manie und Depression.
Bipolare Störung II – Hierbei handelt es sich um wiederholte depressive Phasen mit gelegentlichen hypomanischen Episoden, bei denen eine gehobene und reizbare Stimmung beobachtbar ist und die leichter verlaufen und ambulant behandelt werden können.
Die Manie zeigt sich durch folgende Symptome:
– hohes Selbstwertgefühl und Größenideen
– geringes Schlafbedürfnis von nur wenigen Stunden
– ständiges Mitteilungsbedürfnis (Drang zu reden)
– Ideenflucht und Unruhe
– gesteigerte zielorientierte Aktivitäten bei der Arbeit, in der Schule oder bzgl. sexueller Interessen (ständiges Ausgehen, sexuelle Abenteuer, geschäftliche Investitionen … mit unangenehmen Folgen)
Vorkommen und Häufigkeit von depressiven Verstimmungen
Die depressiven Verstimmungen haben bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten zugenommen und sind bei Mädchen und Jungen vor der Pubertät in der Häufigkeit vergleichbar. Nach der Pubertät (ab ca. 14 Jahren) steigen die depressiven Störungen bei Mädchen in der Häufigkeit deutlich an.
Komorbidität
Depressive Störungen kommen häufig in Verbindung mit weiteren Störungen vor, z. B. mit:
– Angststörungen
– dissozialen Störungen
– Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung
– Essstörungen
– Drogen- und Alkoholmissbrauch
– somatoforme Störungen
Ursachen der Depressionen
Psychoanalytiker heben die Ursache von Verlusterfahrungen hervor, wobei Aggressionen gegen sich selbst aktiviert werden. Auch kann das Nicht-erfüllt-Sein im Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung zu einer großen Hilflosigkeit und damit zur Depression führen, begleitet von einer Ich- respektive Selbstwertstörung.
Kognitive Theorien und verhaltenstheoretische Ansätze
Laut Lewinsohn ist für depressives Verhalten die Art der sozialen Interaktionen von Bedeutung, vor allem deren Qualität und Häufigkeit. Depressive Kinder und Jugendliche zeigen wenig Einsatz bei sozialen Aktivitäten und fühlen sich dabei auch nicht wohl. Dadurch kommt es zu wenig positiven Erfahrungen und positiver Zuwendung anderer. Ein Teil der Depressionen kann auch auf Versagenserlebnissen gründen. Depressive Kinder und Jugendliche konzentrieren sich eher auf negative Ereignisse. Sie tendieren dazu, Misserfolge mit inneren Faktoren zu begründen und sich selbst zu bestrafen, positive Erfolge rechnen sie eher dem Zufall zu.
Die kognitive Theorie nach Beck sieht die Depression als Konsequenz negativer Verarbeitungsmuster. Betroffene sehen sich selbst, die Welt und die Zukunft negativ. Die Folge von Misserfolg sind Schuldgefühle und Selbstkritik. Auch wird beispielsweise die Kritik an der Arbeit als Abwertung der Person gesehen, nicht als Chance, die Arbeit zu verbessern. Alles wird sehr persönlich genommen und ein absolutistisches Denken ist beobachtbar (Schwarz-Weiß-Malerei). Für die Entwicklung einer Depression können auch ungeeignete Problemlösungsstrategien beitragen.
Psychosoziale Theorien heben die Bedeutung von mangelnder Liebe in der frühen Kindheit aber auch von gegenwärtigen belastenden Faktoren hervor. Eine wesentliche Rolle spielen Verluste der Bezugspersonen durch Trennung, vor allem von der Mutter, sowie Erfahrungen der Zurückweisung und Ablehnung. Zudem sind Kinder von depressiven Eltern sehr gefährdet, selbst depressiv zu werden, da das entsprechende Erziehungsverhalten und die zwischenmenschliche Interaktion sich eher hemmend auf die Entwicklung der Kinder auswirken.
Genetische Beeinflussung
In manchen Familien findet man eine genetisch bedingte Vulnerabilität. Somit besteht für die Familienmitglieder und Verwandten ein größeres Risiko, an einer depressiven Störung zu erkranken.
Biologische Theorien
Bei manchen depressiven Menschen vermutet man eine Abhängigkeit der Stimmung von der Tages- oder Jahreszeit. Demnach könnte es sich um eine Störung des biologischen Rhythmus handeln. Diskutiert werden weiters Theorien über Veränderungen der Überträgersubstanzen im Zentralnervensystem (z. B. Serotonin-Hypothese).
Therapie der Depressionen
Die Verhaltenstherapie bemüht sich, die von einer Depression betroffenen Kinder und Jugendlichen von der Hilflosigkeit und Passivität in die Aktivität zu führen. Der Tag soll so gestaltet und strukturiert werden, dass positive Erlebnisse, Erfolge, Freude und Spaß erfahren werden können. Auch auf die Selbstbelohnung für Gelungenes wird Wert gelegt. Verschiedene Problemlösungen werden erprobt und geübt. Die Eltern werden ebenso mit einbezogen und ermutigt, ihre Kinder zu motivieren, zu loben und sie wertzuschätzen.
Kognitive Therapien versuchen, die negativen Denkmuster aufzuschlüsseln und zu bearbeiten, um ein optimistischeres und hilfreicheres Denken zu fördern. Ob eine medikamentöse, antidepressive Therapie sinnvoll ist, hängt von der Schwere und der Dauer der affektiven Störung ab.