Der Text stammt aus der Informationsbroschüre „Psychische Gesundheit – was ist das?“, Seite 17 bis 21, herausgegeben im Jahr 2009 von der Autonomen Provinz Bozen, Amt für Gesundheitssprengel (2. überarbeitete Auflage).
Angst zu haben ist normal
Angst ist ein lebenswichtiges Gefühl, das bei Gefahr oder Bedrohung auftritt. Es versetzt unseren Organismus in eine erhöhte Alarmbereitschaft und führt zu einer Flucht- oder Kampfreaktion. Dieser Zustand ist zeitlich begrenzt. Ohne Angst würde der Mensch nicht angemessen funktionieren. Angst kann aber auch krankhaft werden und die Anpassung an die Umwelt erschweren.
Angst umfasst immer drei Bereiche: Sie äußert sich im Körper, im psychischen Bereich und im Verhalten.
Der Körper reagiert unter Angst mit einer vermehrten Anspannung: das Herz schlägt schneller, der Atem geht rascher, der Blutdruck steigt an, die Muskeln verspannen sich und beginnen zu zittern, kalter Schweiß tritt auf, der Mund wird trocken. Schmerzen in der Brust, Druck oder Leere im Kopf, Schwindelgefühle, Verdauungsbeschwerden oder Gefühllosigkeit in den Gliedern können weitere Anzeichen von Angst sein. Auf der psychischen Ebene bewirkt Angst den Eindruck der Bedrohung, das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, einen Herzanfall zu erleiden, „verrückt zu werden“ oder zu sterben. Verzweiflung und Gedanken wie „Ich muss hier weg“ oder „Es wird etwas Schlimmes geschehen“ sind typisch für starke Angst (Katastrophendenken). Im Verhalten zeigt sich Angst vor allem dadurch, dass der Betroffene sehr unruhig wird, vor Angst auslösenden Situationen flieht oder sie gänzlich vermeidet. Es ist wichtig, zu wissen, wie sich bei einem selbst Angst äußert. Dadurch wird sie verständlicher, weniger bedrohlich und man kann angemessener darauf reagieren. Angst ist ein normales Gefühl, wenn sie zur Situation passt und nützlich ist. Jede Angststörung ist eine Fehlsteuerung ganz normaler Vorgänge.
Angst kann zur Krankheit werden, wenn sie:
- ohne ersichtlichen Grund auftritt, also in Situationen oder unter Bedingungen, die völlig harmlos sind;
- zu häufig oder zu stark wird;
- zu lange dauert;
- zum Verlust der Kontrolle führt;
- großen Leidensdruck verursacht;
- Anlass ist, bestimmte ganz alltägliche Situationen zu vermeiden;
Angststörungen treten sehr häufig auf. Man kann davon ausgehen, dass etwa 10 Prozent der Bevölkerung darunter leiden. psychische Störung weltweit. Frauen erkranken häufiger als Männer. Personen, die über längere Zeit an einer Angststörung leiden, entwickeln oft depressive Symptome wie Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit oder Erschöpfung und ziehen sich immer mehr von ihrer Umgebung zurück. Nicht selten werden Alkohol oder Beruhigungsmedikamente als „Mittel gegen die Angst“ eingenommen. Depression, Alkohol- und Beruhigungsmittelabhängigkeit sind die häufigsten Folgekrankheiten von Angststörungen. Angststörungen sind Erkrankungen mit hohem Leidensdruck. Je früher die Behandlung beginnt, desto eher werden Folgekrankheiten vermieden.
Panik, Phobie und generalisierte Angst sind die drei Gesichter der Angsstörung
Die Panikstörung ist durch immer wiederkehrende und plötzlich auftretende Angstattacken gekennzeichnet, für die es auf den ersten Blick keine Auslöser gibt. Im Vordergrund stehen dabei heftige körperliche Reaktionen, wie Herzklopfen, Brustschmerz, Schwindel und Atemnot. Hinzu kommt die Befürchtung, die Kontrolle zu verlieren, verrückt zu werden, oder zu sterben. Obwohl die einzelnen Panikattacken meist nur Minuten dauern, sind sie für die Betroffenen extrem belastend und nicht selten erfolgen dringende Einweisungen ins Krankenhaus. Die medizinische Abklärung ergibt keine bedeutsamen körperlichen Störungen. Wer öfter eine Panikattacke erlitten hat, entwickelt häufig eine dauernde Sorge davor, dass so etwas wieder geschehen könnte. Angst vor der Angst tritt auf. Diese Erwartungsangst erhöht das allgemeine körperliche und seelische Anspannungsniveau und lässt weitere Panikattacken wahrscheinlicher werden.
Ängste, die sich „nur“ auf bestimmte Gegenstände oder Situationen beziehen, werden Phobien genannt. Man spricht zum Beispiel von einer Schlangen-, Blut- oder Hundephobie. Phobien können auch die Begegnung mit Menschen betreffen (soziale Phobie), oder den Aufenthalt an Orten, wo das Gefühl besteht, dass keine rasche Hilfe möglich ist (Agoraphobie), zum Beispiel in großen Menschenmengen oder in Situationen, wo man allein ist. Menschen, die von Phobien betroffen sind, vermeiden zunehmend alle Orte, Situationen, Dinge oder Lebewesen, die die Angst auslösen könnten. Dieses Vermeidungsverhalten kann das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen, zu Vereinsamung und sozialer Isolation führen.
Angst kann, anders als bei Panikstörungen oder Phobien, auch schleichend entstehen und über viele Monate als dauernde Unruhe, Sorge oder Anspannung spürbar sein. Betroffene entwickeln viele Befürchtungen zu allen möglichen Lebensbereichen, obwohl kein Anlass dazu besteht. Die Angst ist nicht nur auf einzelne Situationen beschränkt, sondern bezieht sich auf den gesamten Alltag. Deshalb spricht man von generalisierter (=allgemeiner) Angststörung. Im Zusammenhang damit treten körperliche Probleme wie Schlafstörungen, Schwindel, Magenbeschwerden oder Hitzewallungen auf. Betroffene berichten oft von der Unfähigkeit, sich zu entspannen, wirken reizbar und körperlich unruhig.
Angststörungen haben viele Gründe
In manchen Fällen liegen der Angststörung körperliche Erkrankungen, wie zum Beispiel eine Schilddrüsenüberfunktion, zugrunde. Manchmal besteht eine teilweise vererbte Neigung, ängstlich zu reagieren. Häufig sind schlechte Erfahrungen in der Kindheit der Nährboden für spätere übermäßige Ängste. Angststörungen können auch durch den Umstand ausgelöst werden, dass man bestimmte Verhaltensweisen nie richtig gelernt hat, so zum Beispiel sich durchzusetzen, Nein zu sagen oder vor anderen Menschen zu sprechen. Am häufigsten führen plötzliche oder lang andauernde seelische Belastungen zum Ausbruch einer Angststörung. Meistens wirken mehrere der geschilderten Umstände zusammen. Entscheidend dafür, ob Angst zur Krankheit wird, ist die Art und Weise, wie man mit der Angstproblematik umgeht. Angst wird immer dann zum Problem, wenn daraus ein Teufelskreis aus Erwartungsangst, Katastrophendenken, ängstlichen Gefühlen und körperlichen Angstsymptomen entsteht.
Angststörungen kann man gezielt und erfolgreich behandeln
Manche Betroffene überwinden Phobien alleine, indem sie sich der Angst auslösenden Situation immer wieder bewusst aussetzen und ihre Ängste wegtrainieren. Auch Entspannungstechniken, Ausdauersport und körperliche Anstrengung sind hilfreich. Sie zeigen Betroffenen, dass eigenartige körperliche Empfindungen nur auf Anspannung zurückzuführen sind und kontrolliert werden können. Der Arzt für Allgemeinmedizin kann körperliche Ursachen ausschließen und bei Bedarf die Betroffenen an Psychotherapeuten oder Fachärzte überweisen. Psychotherapeuten (Psychologen oder Psychiater) behandeln Angststörungen am gezieltesten. Mit Hilfe der Psychotherapie erwirbt der Betroffene Strategien, seine Ängste anders zu sehen und angemessener mit ihnen umzugehen. Eine Psychotherapie ist bei mehr als 70 Prozent aller Angststörungen erfolgreich. Der Psychiater soll kontaktiert werden, wenn andere Behandlungsversuche erfolglos waren oder wenn Folgekrankheiten auftreten. Antidepressive Medikamente wirken bei regelmäßiger Einnahme nach zwei bis sechs Wochen gut gegen Ängste. Die Behandlung dauert in der Regel mehrere Monate, in manchen Fällen auch Jahre. Beruhigungsmittel werden vor allem als Soforthilfe verwendet. Diese setzen die Erwartungsangst herab und entspannen. Aber sie können auch süchtig machen (zirka 5 Prozent der Benutzer) oder Gewöhnung erzeugen. Ihre Verschreibung ist deshalb nur bei hohem Leidensdruck gerechtfertigt. Häufig werden Psychotherapie und Medikamente kombiniert. Dadurch ist sowohl sofortige Hilfe als auch längerfristige Veränderung möglich. Selbsthilfegruppen leisten wertvolle Aufklärungsarbeit und bekämpfen die Gefühle der Isolation. Ängste sind immer unangenehm, aber nicht gefährlich. Sie können besser überwunden werden, wenn man sich ihnen stellt.