Der Artikel ist in der Zeitung des Verbandes „Selbsthilfe-Auto Aiuto“ Nr. 3/2015 erschienen.
Ich war nicht mal erwachsen als die Depressionen meiner Mutter anfingen. Heute ist es normal, aber damals in den Neunzigern war es noch unvorstellbar, gerade über so eine ungewöhnliche Krankheit zu reden. Schmerzt dein Knie, wirst du im schlimmsten Falle operiert und damit hat es sich. Aber mit dem Gehirn… Da ist es verdammt noch mal nicht so einfach…
Aber zurück zu mir. Ich war noch klein, an die 12 Jahre alt, als meine Mutter beschloss, den von meinen Großeltern vererbten Betrieb umzustrukturieren. Sie verschuldete sich dabei. Ganz normal für jeden Unternehmer. Aber uns traf es wie eine Bombe. Für mich war es die Hölle. Mein Leben und auch das meiner Familie hat es völlig durcheinander gebracht. Plötzlich war meine Mutter ganz anders. Wie soll ich’s euch erklären? Von einem Tag auf den anderen erkannte ich sie nicht mehr wieder.
Über die Jahre habe ich gelernt, die Warums zu verstehen und die Gründe, die diese erste große Krise ausgelöst haben. Aber hier ist nicht der richtige Ort, um von meinen traurigen Erfahrungen genau zu berichten, auch weil es solche Geschichten wie die meine millionenfach gibt. Ich möchte euch aber von meinen Gefühlen erzählen, den Empfindungen eines pubertierenden Jungen auf der Suche nach sich selbst, der sich urplötzlich mit einer völlig verwandelten Familie vorfindet. Die Depression ist eine Krankheit, die eine veränderte Wahrnehmung der Realität mit sich bringt. Das glaube ich jedenfalls.
Nur damit wir uns richtig verstehen. Versucht mal, eure Umgebung ständig durch einen Filter zu sehen, durch eine trübe dunkle Scheibe. Denkt an das strahlende Gelb der Sonne hinter einer Wand. Jedes noch so schöne Ding und noch so freudige Ereignis wird von grauen düsteren Schleiern begleitet. Das ist die Depression, die langsam auch mich einverleibt hat, auch wenn sie bei mir von keinem Arzt diagnostiziert wurde. Diese teuflische Krankheit beeinträchtigt das Leben der ganzen Familie.
Und so wird alles anders. Alles im Leben wird zur Tragödie und es herrscht stets eine angespannte Atmosphäre mit wenigen Momenten der Ruhe.
Leider zahle ich heute den Zoll für all das. Ich glaube fast, das Schicksal entscheidet darüber, wer leiden muss und wer nicht. Für mich ist es gar nicht gut gelaufen. Es ist eine Frage des Glücks. So wie es Glückssache ist, ob du in unserer reichen Welt und nicht in der Dritten Welt geboren wirst.
Ich möchte mich nicht bemitleiden, aber die Depression ist eine heimtückische Krankheit, die einem Tag für Tag die Lebensfreude stiehlt.
Was kann ich euch noch dazu sagen? Habe ich etwas gelernt? Klar, ich habe gelernt, mich zu wehren, mit dem Schmerz und dem Leid zu leben. Ich schaffe es, Tag um Tag der Zermürbung, die das Leben mit dem Dunkel mit sich bringt, zu trotzen.
All das hat meinen Selbstwert, die Unbeschwertheit, die Freude sehr in Mitleidenschaft gezogen: es fühlt sich an, als wenn mir etwas verwehrt worden wäre.
Ich bin nicht glücklich, mir fehlt die Leichtigkeit und ich habe durch die finstern Täler der Depression viele Jahre meines Lebens verloren.
Was nehme ich am Ende dieser Erzählung mit? Ich trage die Hoffnung in mir, wieder aufrecht durchs Leben gehen zu können, dass es Menschen gibt, die mir helfen und vor allem, dass es Hilfen und Selbsthilfe gibt.
In mir ist es leer, es fühlt sich an wie ein ausgetrockneter Ozean, den nicht mal die unzähligen vergossenen Tränen füllen können.
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