Der Text stammt aus der Informationsbroschüre „Psychische Gesundheit – was ist das?“, Seite 29 bis 35, herausgegeben im Jahr 2009 von der Autonomen Provinz Bozen, Amt für Gesundheitssprengel (2. überarbeitete Auflage).

Manie: Was ist das?
Jeder Mensch kennt Zeiten der Niedergeschlagenheit, und solche, in denen er überglücklich ist. Auch starke Gereiztheit ist keinem von uns fremd. Normalerweise passen extreme Stimmungsschwankungen zur jeweiligen Situation und dauern nicht lange. Wenn jemand aber ohne Grund andauernd übermäßig heiter oder gereizt reagiert und keine anderen Gefühle mehr entwickelt, liegt eine psychische Erkrankung vor: die “Manie”. Dabei ist der Betroffene in positiven oder ärgerlichen Gefühlen “erstarrt” und kann nicht mehr anders empfinden. Sein Verhalten entspricht der unnatürlichen Stimmung, es ist überaktiv bis chaotisch. Der Betroffene bemerkt meist von seinem unnormalen Gemütszustand nichts: Er fühlt sich nur “pudelwohl” oder allen anderen überlegen.

In der Manie fühlt sich der Erkrankte meist besonders gesund. Sie ist die einzige psychische Störung, die Betroffene als außerordentlich angenehm erleben können. Nur wenige Erkrankte fühlen sich in einem unnatürlichen Zustand, der nicht zu ihnen passt.

Zeichen der Manie:

  • Dauerhaft angehobene oder gereizte Stimmung, die unnatürlich wirkt, weil sie zu den jeweiligen Situationen nicht mehr passt;
  • gesteigerte innere Energie mit übermäßiger Aktivität, Unruhe und hochfliegenden Plänen, die meist im Chaos enden;
  • Selbstüberschätzung, die bis zum Größenwahn reichen kann (manisch Kranke sind von ihrer Wichtigkeit überzeugt und halten sich oft für Millionäre, große Staatsmänner oder Propheten);
  • nicht bremsbarer Rededrang bei Witzelsucht, beschleunigtem Denken und schlechter Konzentration;
  • verkürzter Schlaf oder Schlaflosigkeit ohne Müdigkeit untertags;
  • Verlust der natürlichen Hemmungen und Übertretung gesellschaftlicher Regeln: Betroffene treten laut und großspurig auf, trinken exzessiv Alkohol oder konsumieren Drogen, verschleudern viel Geld und machen leichtfertig Schulden, fahren riskant Auto, nähern sich aufdringlich dem anderen Geschlecht, sind auch sexuell enthemmt oder unersättlich. – Manchmal hören Betroffene angenehme positive Stimmen (häufig als „Stimme Gottes“ gedeutet), deren “Eingebungen” sie befolgen.

Die Manie ist wie die Depression eine Störung der Stimmung und der inneren Energie, nur in umgekehrter Richtung. Die Manie ist in aller Regel vorübergehend und dauert unbehandelt meist nur wenige Monate. Die Betroffenen werden in der Folge vollständig gesund, erkranken aber nach unterschiedlich langen Zeiträumen wieder an einer Manie, einer Depression oder an beidem. Da die Manie und die Depression jedes Mal heilbar ist, anderseits aber wiederholt auftritt, spricht man von manischen Episoden bzw. depressiven Episoden.

 

Die bipolare affektive Störung
Die Manie ist der entgegengesetzte Pol der Depression, und beide sind Störungen der Stimmung, die man als affektive Störungen bezeichnet. Manche Menschen leiden im Laufe ihres Lebens mehrmals an manischen und an depressiven Episoden (siehe auch Artikel “Depression: Was ist das?”). Diese Krankheit nennt man bipolare affektive Störung.

Die alte Bezeichnung der bipolaren affektiven Störung ist manisch-depressive Erkrankung. Die Störung tritt in Phasen auf, das heißt, die einzelnen manischen und depressiven Episoden heilen jeweils vollständig aus, wiederholen sich aber im Laufe des Lebens unterschiedlich oft. Manche Betroffene machen im Verlauf ihres Lebens gerade eine manische und eine depressive Episode mit. Meistens ist die bipolare affektive Störung aber mit häufigeren Krankheitszeiten verbunden. Wenn mehrmals im Jahr manische und depressive Episoden auftreten (wobei die Manie häufig in die Sommerzeit, die Depression oft in den Herbst und Frühling fällt), wird das Leben des Betroffenen fast pausenlos von Krankheitsphasen unterbrochen. Entsprechend groß ist die Belastung für den Erkrankten und seine Familie.

Die bipolare affektive Störung tritt weltweit bei 1 Prozent der Bevölkerung und gleicher Verteilung zwischen den Geschlechtern auf und beginnt meist um das zwanzigste Lebensjahr. Bei Jugendlichen sind manische Episoden oft schwer zu erkennen, weil schulische Probleme, Reizbarkeit, Alkohol- und Drogenmissbrauch oder Wahnideen (Überzeugungen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben) im Vordergrund stehen können. Menschen, die nur selten an leichten manischen Verstimmungen (Hypomanie) leiden, können im Beruf oder Privatleben sogar besonders erfolgreich sein, weil sie Zeiten besonderer Kreativität und Unermüdlichkeit haben. Diese Verläufe benötigen keine Behandlung, sind jedoch sehr selten.

Die Manie hat verschiedene Gründe
Als gesichert gilt eine erbliche Veranlagung. Deshalb tritt die bipolare affektive Störung in bestimmten Familien häufiger auf, und nahe Verwandte von Erkrankten haben ein höheres Risiko, ebenfalls zu erkranken. Manische und depressive Episoden können wie “Blitze aus heiterem Himmel” auftreten. Allerdings wirken in vielen Fällen erschütternde Lebensereignisse (seelischer Stress, Verlusterlebnisse) oder hormonelle Veränderungen (Schwangerschaft) als Auslöser.

Die moderne Hirnforschung hat Hinweise dafür, dass Menschen mit bipolarer affektiver Störung zeitweilig einen veränderten Hirnstoffwechsel aufweisen: Bei der Manie entstehen zu viel anregende Botenstoffe in bestimmten Zentren des Gehirns, bei der Depression hingegen zu wenig. Entsprechend werden positive oder erregende Signale während der Manie verstärkt, und während der Depression abgeschwächt weitergeleitet.

Manische Zustände können auch bei anderen psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel bei Alkohol- und Drogenmissbrauch oder bei Schizophrenie, bei Medikamentenvergiftung, körperlichen (Hirntumoren, Schlaganfall) oder hormonellen Störungen auftreten. In diesen Fällen müssen die jeweils auslösenden Krankheiten behandelt werden.

Der erste Schritt zur Hilfe kann schwer sein
Die meisten manisch Kranken leben in einer Partnerschaft, haben Kinder und einen Beruf. Die Krankheitsverläufe sind sehr unterschiedlich, bei leichteren Formen genügen Behandlungen während der akuten Krankheitsphase. Allerdings unterhöhlt die Manie, wenn sie nicht entsprechend behandelt wird, die familiären Bindungen (hohe Anzahl von Trennungen), den Beruf (Verlust des Arbeitsplatzes) und die zwischenmenschlichen Beziehungen (Verlust von Freunden). Da manische Episoden wiederkehren, müssen Betroffene nach jeder Krise mühevoll ihre soziale Existenz, die sie während der Manie gefährdet haben, wieder aufbauen.

Eine Behandlung ist zur sozialen Absicherung des Betroffenen und seiner Familie notwendig, und sollte möglichst rasch erfolgen. Dadurch kann der Schaden in Grenzen gehalten werden. Während einer manischen Phase empfindet sich der Betroffene in aller Regel nicht als krank. Er wird deshalb häufig jede psychiatrische Behandlung verweigern und Therapievorschläge als Schikanen empfinden. Anderseits kann sein Verhalten vorübergehend unberechenbar und er selbst unzurechnungsfähig sein, was seine Umgebung schwer belastet. Leichtere manische Episoden können ambulant gut behandelt werden. Ausgeprägte manische Episoden müssen fast immer im Krankenhaus an psychiatrischen Abteilungen behandelt werden. Unter Umständen kann eine Zwangseinweisung notwendig werden, wenn der Betroffene eine dringend nötige Therapie verweigert. Der erste Ansprechpartner dafür ist der Hausarzt. Er zieht in aller Regel einen Psychiater oder einen anderen ärztlichen Kollegen bei. Eine Zwangseinweisung wird von zwei Ärzten vorgeschlagen, vom Bürgermeister verfügt und mit Hilfe der Ordnungskräfte durchgeführt.

Manien können rasch, gezielt und erfolgreich behandelt werden

Dies gelingt am besten bei einer guten, vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Angehörigen, Hausarzt und Psychiater. Angehörige bemerken die Störung als Erste und sind meist diejenigen, die sich an Fachleute wenden. Der Hausarzt kann das Ausmaß der Erkrankung beurteilen und die geeigneten Maßnahmen veranlassen. Der Psychiater ist am besten imstande, manische und depressive Episoden zu behandeln und ihrem erneuten Auftreten vorzubeugen.

Antipsychotische Medikamente und verschiedene Beruhigungsmittel werden verwendet, um die Wahnideen der Betroffenen rasch zu dämpfen, ihre Konzentration zu verbessern, ihre überschüssige Energie zu drosseln und den Schlaf zu sichern. Lithiumsalze wirken dämpfend und beugen erneuten Stimmungsschwankungen vor. Sie werden deshalb sowohl zur Behandlung der manischen Episoden als auch zur Vorbeugung weiterer manischer und depressiver Episoden eingesetzt. Lithium wirkt bei 70 % der Menschen, die unter einer bipolaren affektiven Störung leiden, und halbiert meist Häufigkeit, Stärke und Dauer der Krankheitsphasen. Zu diesem Zweck muss es aber regelmäßig über Jahre oder Jahrzehnte eingenommen werden. Manchmal unterdrückt Lithium alle weiteren Krankheitsepisoden vollständig. Auch andere stimmungsstabilisierende Medikamente werden heute mit ähnlichem Erfolg wie Lithium zur Vorbeugung eingesetzt (am häufigsten Carbamazepin oder Valproinsäure). Stimmungsstabilisierende Medikamente entfalten ihre vorbeugende Wirkung oft erst nach Monaten und sollen regelmäßig über Jahre oder Jahrzehnte eingenommen werden. Sie verändern nicht die Persönlichkeit und machen nicht abhängig. Regelmäßige Messungen der Medikamentenspiegel im Blut sind jedoch notwendig. Antidepressive Medikamente dienen der Behandlung der depressiven Episoden. Sie sollen nach Heilung der Depression möglichst rasch abgesetzt werden, um ein Kippen in manische Episoden zu vermeiden.

Psychotherapeuten (Psychologen oder Psychiater) können Betroffenen und ihren Familien in Einzel- oder Familiensitzungen helfen, die Störung besser zu verstehen, Auslösesituationen zu vermeiden, erste Warnsignale zu beachten und mit den auftretenden Schwierigkeiten geeigneter und gelassener umzugehen. Auch ein Stress verringernder Lebensstil kann erlernt werden. Manie und bipolare affektive Störung sind kein unabwendbares Schicksal. Ihnen kann wirkungsvoll vorgebeugt werden.