Der Text stammt aus der Informationsbroschüre „Was ist eine Psychose? Psychische Störungen im Jugendalter“, herausgegeben im Jahr 2016 vom Verband Ariadne – für die psychische Gesundheit aller und der Autonomen Provinz Bozen, Amt für Krankenhäuser, in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsbezirk Bozen – Psychiatrischer Dienst und der Freien Universität Bozen

Was ist eine Psychose?
Der Begriff „Psychose“ wird für jene psychischen Störungen verwendet, welche die mentalen Funktionen in Form von Störungen des Denkens, des Verhaltens und der Affektivität bis hin zum Verlust der Wahrnehmung des eigenen Ichs (sogenannte Ich-Störungen) und der Wahrnehmung der Umwelt beeinträchtigen.

Diese Störungen verändern das Leben der Betroffenen maßgeblich, sie bringen Änderungen im Alltagsleben mit sich, beeinträchtigen das Sozialleben, wirken sich auf die schulische und berufliche Arbeitsleistung aus und gehen mit einem zunehmenden Rückzug aus dem sozialen Umfeld einher.

Eine psychotische Episode kann bei etwa 3 % der Bevölkerung auftreten. Davon entwickeln nur etwa 0,5-1 % schwerwiegende und dauerhafte Pathologien. Das rechtzeitige Erkennen und eine frühzeitige Hilfe können für die Remission der Symptomatik und eine günstige Prognose entscheidend sein.

Warum junge Menschen?
Menschen mit einer erhöhten Vulnerabilität können mit psychotischen Symptomen reagieren. Psychosen werden durch das Zusammenspiel einer Reihe von genetischen, psychologischen und sozialen Faktoren bestimmt, die bei gleichzeitigem Eintreten besonders stressiger Ereignisse, Emotionen und Spannungen, Substanzmissbrauch, Entwicklungsveränderungen oder Änderungen der Lebensumstände zu einem Ausbruch psychotischer Symptome führen können.

Das Jugendalter und das frühe Erwachsenenalter sind durch rasche Veränderungen des Körpers, der Psyche, des persönlichen Status und der gesellschaftlichen Rolle gekennzeichnet und erfordern eine kontinuierliche Anpassung an die täglichen Herausforderungen. Junge Menschen im Alter zwischen 16 und 30 Jahren weisen aus diesem Grund ein höheres Risiko für psychotische Manifestationen auf. Die Wahrscheinlichkeit, eine psychotische Episode zu entwickeln, ist umso größer, wenn Familienangehörige an psychotischen Störungen leiden oder daran gelitten haben.

Wie äußert sie sich?
Die ersten Anzeichen einer Psychose sind oftmals schwer als solche zu erkennen, da sie leicht dem typischen jugendlichen Verhalten, dem Gebrauch gewisser Substanzen, dem Mangel an Mitarbeit, der Lustlosigkeit oder anderen Charaktereigenschaften zugeschrieben werden.

Der Ausbruch der ersten psychotischen Episode erfolgt nie plötzlich. Typischerweise entwickelt sich die Krankheit schleichend und schrittweise, von der sogenannten Prodromalphase bis hin zur Akutphase.

Die Prodromalphase
Die Prodromalphase ist durch das Auftreten einiger Veränderungen des Verhaltens, der Emotionen, der Wahrnehmung und des Denkens gekennzeichnet. Die typischen Anzeichen der Prodromalphase sind:

  • Misstrauen und/oder Argwohn
  • wiederkehrende Gedanken und Grübeln über den eigenen physischen oder psychischen Gesundheitszustand
  • ungeordnete und wirre Gedanken
  • Anspannung, Unruhe, Nervosität, Reizbarkeit und Episoden von Aggressivität
  • psychophysische Hyperaktivität oder Verlangsamung
  • generalisierte körperliche Schmerzen
  • soziale Angst und sozialer Rückzug
  • depressive Verstimmung und/oder Stimmungsschwankungen
  • Beginn oder Steigerung von Drogenkonsum
  • veränderte Ernährungsgewohnheiten
  • veränderter Schlafrhythmus und veränderte Schlafgewohnheiten (z. B. Wachbleiben bis in die späte Nacht und Tagschlaf)
  • Affektverflachung oder Schwierigkeit, Affekte der erlebten Situation angemessen auszudrücken
  • verringerte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • Mangel an Motivation, Ziellosigkeit
  • Energieverlust und Erschöpfung
  • erhöhte Sensibilität
  • geringe Frustrationstoleranz

In dieser Phase sind nicht alle Jugendlichen dazu fähig, ihr Unwohlsein vollständig zu erkennen, und häufig werden Veränderungen von Familienangehörigen, Lehrpersonen und Freunden bemerkt, welche Folgendes beobachten könnten:

  • sonderbares Verhalten
  • schlechtere Leistungen in der Schule oder bei der Arbeit
  • Isolation oder sozialer Rückzug
  • Interessenverlust
  • Passivität und Selbstvernachlässigung

Die Prodromalsymptome einer Psychose unterscheiden sich von den kurzfristigen Reaktionen bei stressigen Ereignissen insofern, als sie im Laufe der Zeit:

  • an Intensität und Schwere zunehmen
  • häufiger auftreten
  • die Funktionsfähigkeit des/der Betroffenen in den verschiedenen Bereichen (Selbständigkeit, Schule/Arbeit, Beziehungen) beeinträchtigen und zu einer fortlaufenden Verschlechterung der Lebensqualität sowie der alltäglichen Leistungsfähigkeit führen.

Prodromalsymptome können Vorläufer einer psychotischen Episode sein und können, wenn sie unerkannt bleiben und nicht angemessen behandelt werden, eine Akutphase der Störung einleiten. Es ist sehr schwer, die ersten Anzeichen der Erkrankung ohne fremde Hilfe und ohne korrekte Informationen zu bewältigen. In dieser Phase ist es äußerst hilfreich, sich mit einem Spezialisten zu besprechen, um gemeinsam die auftretenden Schwierigkeiten zu verstehen und dem Unwohlsein entgegenzuwirken.
Die akute Phase
Die akute Phase ist durch das Auftreten manifester psychotischer Symptome, welche sich entscheidend auf die Wahrnehmung des eigenen Umfelds, des Verhaltens und die allgemeine Funktionsfähigkeit auswirken, gekennzeichnet. Die typischen Symptome einer Psychose unterteilt man in zwei Gruppen: „Positivsymptome” und „Negativsymptome”.

Positivsymptome
Die Positivsymptome sind am deutlichsten erkennbar. Sie verändern die normalen Denkprozesse und die Sinneswahrnehmung.

Dabei unterscheidet man:

Wahnvorstellungen: Es handelt sich um Trugschlüsse, die für jede Kritik unzugänglich sind und von dem/der Betroffenen als glaubhaft und signifikant erlebt werden, Außenstehenden aber unverständlich erscheinen und daher von diesen nicht angenommen werden.

Die/der Betroffene ist davon überzeugt:

  • verfolgt zu werden
  • das Opfer von Verschwörungen zu sein
  • besondere Fähigkeiten oder Kräfte zu besitzen
  • dass ihre/seine Gedanken und Handlungen von externen Mächten kontrolliert werden
  • von Dritten und/oder den Medien (Internet, Rundfunk, Printmedien, Fernsehen …) speziell an sie/ihn gerichtete geheime Botschaften zu empfangen.

Halluzinationen sind sensorische Sinnestäuschungen, welche sich ohne reelle externe Stimuli einstellen. Sie sind lebhaft und klar, unterliegen nicht der willkürlichen Kontrolle und können sich in jeglicher Form der Sinneswahrnehmung manifestieren. Halluzinationen können den Seh-, Hör-, Geschmacks-, Geruchs- und den Tastsinn betreffen. Auditive Halluzinationen, bei denen nicht existierende Stimmen oder Geräusche wahrgenommen werden, sind darunter die häufigsten. Sie manifestieren sich für gewöhnlich in Form von Stimmen aus dem familiären Umfeld oder als fremde Stimmen, die als von den eigenen Gedanken abgesondert empfunden werden und kommentierenden, erniedrigenden und befehlenden Charakter haben können. Außerdem können inexistente Dinge oder Personen, Gerüche oder Geschmäcker wahrgenommen werden, und es kann das Gefühl aufkommen, von jemandem berührt zu werden oder dass sich etwas auf oder unter der Haut befindet.

Desorganisiertes Denken: Die kognitiven Funktionen des Alltagslebens werden verwirrt oder folgen keiner logischen Reihenfolge. Die/der Betroffene drückt sich in schwer verständlichen oder wenig sinnhaften Sätzen aus, hat Konzentrationsschwierigkeiten, und es fällt ihr/ihm schwer, einer Konversation zu folgen oder sich an Dinge zu erinnern. Der Gedankenfluss kann stark beschleunigt oder, im Gegenteil, stark verlangsamt sein.

Verhaltensstörungen: Die/der Betroffene legt bizarre, unangemessene und desorganisierte Verhaltensweisen an den Tag (z. B. in Abwesenheit eines Gesprächspartners sprechen, sich gegenüber anderen unangebracht verhalten, Zügellosigkeit, Ausführung von unnatürlichen Bewegungen und Einnahme einer unnatürlichen Haltung, extrem schnelle oder extrem langsame Bewegungen).

Negativsymptome
Die Negativsymptome sind anfangs weniger deutlich ersichtlich als die Positivsymptome und führen im Laufe der Zeit zu einem Verlust der normalen psychosozialen Funktionsfähigkeit. Sie manifestieren sich wie folgt:

  • ausgeprägter sozialer Rückzug
  • ausgeprägter Interessenverlust, Mangel an Initiative oder ausgeprägte Antriebslosigkeit verbunden mit der Unfähigkeit, die gewöhnlichen Alltagshandlungen durchzuführen
  • unbegründete und unkontrollierte Aggressivität gegenüber Gegenständen, gegenüber sich selbst und/oder gegenüber anderen
  • Angstzustände, starke depressive Verstimmung, Suizidgedanken
  • ausgeprägte Ungepflegtheit und Vernachlässigung der Körperhygiene

Diese Symptomatik ist, im Gegensatz zu jener in der Prodromalphase, invalidierend und beeinträchtigt in schwerwiegender Weise die Lebensqualität.

In dieser Phase, in welcher eine Behandlung unerlässlich ist, ist sich die/der Betroffene ihrer/seiner Krankheit meist kaum bewusst und deshalb auch nur schwer bereit, Hilfe zu suchen. In der Akutphase kommt es beim Versuch der/des Betroffenen, ihre/seine durch die Erkrankung hervorgerufenen psychotischen Symptome zu lindern, oft zu Substanzmissbrauch (Alkohol, Cannabis und Anderes). In Wirklichkeit führt der Drogenkonsum nach einer ersten möglichen vorübergehenden Besserung zu einer Verschlimmerung der bestehenden Symptomatik.

Die Schwierigkeit Hilfe zu suchen und anzunehmen
Die erste psychotische Episode ist eine besonders traumatische und erschütternde Erfahrung. Beim Auftreten der ersten psychotischen Symptome kann die/der Betroffene Gefühle von Angst und Scham empfinden. Die Kontakt-aufnahme mit einem spezialisierten Dienst kann bei der/dem Betroffenen und den Angehörigen Furcht vor dem Urteil des Umfelds, der Freund/innen, der
Arbeits- und Schulkolleg/innen auslösen. Daraus erklärt sich die häufig auftretende Ablehnung der Behandlung, die Leugnung der Ereignisse und der Wille, alles zu vergessen und es allein zu schaffen. Oft sind die Betroffenen besorgt und angsterfüllt, da niemand wirklich verstehen kann, was tatsächlich in ihnen vorgeht.

Es ist äußerst wichtig, sich an einen Spezialisten (Arzt für Allgemeinmedizin, Psychiatrischer Dienst, …) zu wenden, welcher der/dem Betroffenen und ihren/seinen Angehörigen die Situation erklären kann und sie während der Behandlung begleitet. Ein Hilferuf kann, sofern die/der Jugendliche sich der Schwere der Situation nicht bewusst ist, auch von den Angehörigen ausgehen. Diese finden im Facharzt eine Bezugsperson, die ihnen helfen kann, die Betroffene/den Betroffenen besser zu verstehen und sie/ihn in ihrem/seinem Hilfeschrei zu unterstützen.

Warum ist es wichtig, frühzeitig zu handeln?
Oft vergeht viel Zeit, bis mit der Behandlung begonnen wird, und je mehr Zeit vergeht, desto größere Schwierigkeiten treten im affektiven und schulischen Bereich sowie im Arbeits- und Sozialleben auf. Es ist wichtig, dass die/der Betroffene und/oder Familienangehörige beim Auftreten der ersten Symptome sowie emotionalen oder verhaltensbezogenen Veränderungen frühzeitig bei den spezialisierten Diensten Hilfe suchen.

Greift man nämlich frühzeitig und möglichst schon beim Auftreten der ersten Symptome ein, besteht die Möglichkeit, die mit der Krankheit einhergehenden Beeinträchtigungen zu verringern. Demgegenüber verschlechtert sich die Prognose für die Patientin/den Patienten, je länger die Erkrankung unbehandelt bleibt. Die Krankheit spricht in den ersten zwei bis drei Jahren nach der ersten psychotischen Episode am besten auf die Behandlung an.

Je eher man das Problem erkennt, sich dessen bewusst wird und sich in eine spezialisierte Behandlung begibt, desto früher kann der Genesungsprozess einsetzen und das Leben einen positiven Verlauf nehmen.

Der Therapieverlauf
Bei der Psychose handelt es sich um eine klinische Störung, die als solche behandelbar ist, sofern sie rechtzeitig erkannt und angemessen behandelt wird. Zunächst müssen medizinische und psychologische Untersuchungen durchgeführt werden, um organische Erkrankungen auszuschließen und die Natur des Unwohlseins im Detail zu ergründen.

Die Behandlung ist individuell und bezieht verschiedene Fachbereiche mit ein. Der Behandlungsplan wird in Zusammenarbeit mit der/dem Jugendlichen und den Familienangehörigen erstellt, um alle erforderlichen Informationen zu vermitteln, die Symptomatik zu mildern und die allgemeine Funktionsfähigkeit und die Lebensqualität zu verbessern. Das fachärztliche therapeutische Angebot besteht in einer Untersuchung und einer medizinischen, psychologischen und sozialen Beratung. Es wird die Notwendigkeit einer Pharmakotherapie geprüft, welcher in der Akutphase oft eine entscheidende Rolle bei der Verringerung der psychotischen Symptome und bei der Linderung von Angst und Besorgtheit zukommt. Parallel dazu wird eine psychologische Unterstützung angeboten, um gemeinsam die Ursachen für das Unbehagen zu erörtern und geeignete Bewältigungsstrategien zu finden.

Auch wenn die eklatanteren Symptome abklingen oder verschwinden und die/der Jugendliche das Gefühl hat, einen Zustand des Wohlbefindens wiedererlangt zu haben, ist es wichtig, weiterhin sehr genau auf die eigene psychische Gesundheit zu achten und den Kontakt zu den betreuenden Personen aufrecht zu halten.

Die Unterstützung der Fachleute ist unerlässlich, um den klinischen Verlauf zu dokumentieren und das Rückfallrisiko, welches vor allem in den ersten Jahren nach der ersten Episode hoch bleibt, zu verhindern oder zu minimieren.

An wen kann man sich wenden?
Der erste Ansprechpartner ist der eigene Hausarzt/Arzt für Allgemeinmedizin oder die eigene Hausärztin/Ärztin für Allgemeinmedizin.

Betroffene können sich zur Beratung aber auch direkt an das
Ambulatorium für Allgemeine Psychiatrie und Liasions-Psychiatrie (Krankenhaus Bozen, Gebäude W, 1. Stock, angesiedelt beim Dienst für Erwachsenenpsychiatrie;
Zeiten: Montag – Donnerstag, 08:00 – 17:00 Uhr; Freitag 08:00 – 14:00 Uhr; Tel. 0471 435 146/147) wenden.

Im Notfall, nachts oder am Wochenende kann man sich an die Erste Hilfe der Krankenhäuser Bozen, Bruneck, Meran und Brixen wenden.