Der Text stammt aus der Informationsbroschüre „Psychische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter“, herausgegeben im Jahr 2014 vom Verband Ariadne und der Autonomen Provinz Bozen, Amt für Krankenhäuser unter der Mitarbeit von Veronika Hafner, Donatella Arcangeli, Luigi Basso, Irene Berti, Giovanni Cappello, Andreas Conca, Giulia Parolin, Roger Pycha und Georg Vallazza.
Zur Zwangsstörung gehören wiederkehrende, plötzliche Gedanken und/oder Handlungen. Diese neutralisieren Gedanken, Bilder oder Handlungsimpulse, die auftreten und große Ängste bei den Betroffenen auslösen. Das Ausführen der Zwangsgedanken und -handlungen führt zu einer vorübergehenden Reduktion der Ängste und Anspannung. Die Zwangsgedanken und -handlungen erscheinen dem/der Betroffenen zwar sinnlos und werden mit der Zeit immer belastender, er/sie schafft es aber nicht, sie zu unterlassen. In den meisten Fällen wird von den Kindern nicht angenommen, dass die zwanghaften Befürchtungen der Wirklichkeit entsprechen.
Themen der Zwangsgedanken sind vor allem die Angst vor Ansteckung, Bedrohungen durch Gewalt und Aggression oder Angst, gegen soziale Normen verstoßen zu haben. Sie zeigen sich in Form von Bildern, Zahlen oder Worten, aber auch Melodien u. a. Gedankenfolgen, die sich ständig wiederholen. Bei den Zwangshandlungen beobachtet man u. a. Waschzwänge (z. B. wiederholtes Händewaschen), Kontroll-, Ordnungs- und Zählzwänge. Manchmal müssen Handlungen auch ganz langsam und sehr rigide durchgeführt werden. Erwachsene werden oft von den Kindern in die Zwänge miteinbezogen. Außerdem ziehen sich Jugendliche gerne von sozialen Kontakten zurück, weil ihnen die Zwänge peinlich sind. Dies verstärkt zudem die Symptomatik.
Komorbid zu Zwangsstörungen treten oft Angststörungen und/oder Depressionen auf. Weiters beobachtet man Zusammenhänge zwischen einer Zwangsstörung und dem Tourette-Syndrom oder anderen Tic-Störungen. Zwangsstörungen beginnen oft während der Pubertät, also vor dem 15. Lebensjahr. Die meisten Fälle im Kindesalter beginnen zwischen 8 und 11 Jahren, beobachtet wurde die Zwangsstörung aber auch schon bei Zwei- und Dreijährigen.
Ursachen
1. Psychologische Mechanismen
Hier werden vor allem zwei Ansätze diskutiert:
Laut Verhaltenstheorie sind Zwangssymptome vor allem erlernt und haben den Zweck, die Angst zu verringern. Der kognitionspsychologische Ansatz beschreibt die Bedeutung von kognitiven Verzerrungen, auf Grund derer vor allem Bedrohungen gesehen werden. Die Zwangshandlung hat die Funktion, diese Angst aufzuhalten. Hervorgehoben wird dabei vor allem die Beeinträchtigung von Gedächtnisfunktionen.
2. Neurobiologische Mechanismen
Diskutiert werden vor allem
– eine Regulationsstörung in Neurotransmittersystemen und
– eine Dysfunktion der Stirnhirnregionen sowie der Basalganglien, die in Verbindung mit einer Zwangsstörung stehen sollen.
3. Das familiäre Umfeld
In Familien von Kindern mit einer Zwangsstörung beobachtet man oft auch andere Familienmitglieder mit ähnlichem Verhalten. Aus Untersuchungen weiß man, dass in der Erziehung der Kinder Leistung eine große Rolle spielt und ganz allgemein eher rigide und streng erzogen wird.
Behandlung
Erprobt werden seit einigen Jahren verhaltenstherapeutische Ansätze, bei denen eine Konfrontation mit der unangenehmen Situation herbeigeführt wird, die Zwangsreaktion aber für eine bestimmte Zeit nicht durchgeführt werden darf. Auf kognitiver Ebene wird durch die Konfrontation mit der Realität eine Korrektur der kognitiven Verzerrung erreicht.
Medikamentöse Behandlung
Die Einnahme von antidepressiven Medikamenten kann unterstützend angebracht sein, um die Zwangssymptomatik zu reduzieren. Es ist eine langfristige Einnahme notwendig, um zu verhindern, dass die Symptome wieder verstärkt auftreten.